Liebe alte, kranke, behinderte und einsame
Brüder und Schwestern, so könnte es gewesen sein, nachdem Jesus gestorben und
begraben, am dritten Tage auferstanden und dann in den Himmel aufgefahren war.
Johannes hatte den letzten Wunsch seines Herrn gerne befolgt. Der zum Vater
zurückkehrende Jesus wollte nämlich nicht aus dieser Welt scheiden, ohne seine
Mutter, die er allein und einsam zurücklassen musste, der Obhut seines besonders
geliebten Jüngers anzuvertrauen. Dieser wusste, dass sich unter dem Kreuz das
Wort erfüllt hatte, dass der greise Simeon zu Maria gesprochen hatte: "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die
Seele dringen." (Lk 2, 35b) Für ihn war es
darum keine Last, sondern eine hohe Auszeichnung, die Mutter Gottes auf dem
letzten Stück ihres Glaubensweges zu begleiten.
Maria hatte sicher das Leid, den Schmerz und
die Trauer nicht selber gewählt. Sie hatte aber dazu Ja gesagt, als der Engel
des Herrn ihr die Botschaft in ihre Kammer nach Nazareth brachte. Sie konnte ihr
Jawort geben, weil sie die Unbefleckt Empfangene war. Das ist der Schlüssel zur
Wende der Geschichte. Darum schreibt der Heilige Vater in seinem Brief an die
Kranken: "Wenn Jesus die Quelle des
Lebens ist, die den Tod besiegt, so ist Maria die fürsorgliche Mutter, die auf
die Bedürfnisse ihrer Kinder eingeht und für sie die Gesundheit an Seele und
Leib erwirkt." (Botschaft
2004)
Die Geschichte von Maria und Johannes
wiederholt sich auch heute immer wieder. Aber heute sind wir, sind Sie, liebe
Schwestern und Brüder, die Hauptpersonen in dieser Geschichte. Sie kehren nach
dem Tode ihres Mannes, mit dem sie ein langes Leben Freude und Leid geteilt
haben, heim und fühlen sich sehr einsam. Oder ihre Frau ist selber krank
geworden und kann sie nicht mehr pflegen, wie sie das seit langem getan hat.
Oder sie sind alt geworden und die Gebrechen haben sich eingestellt, sodass sie
sich selber nicht mehr helfen können. Sie mussten das vertraute Zuhause
verlassen und in ein Heim ziehen. Oder sie kehren nach einem Unfall mit einer
schweren Behinderung dorthin zurück, wo sie noch vor kurzer Zeit voller
Lebensfreude gewirkt haben.
In der einen oder der anderen Form hat auch
ihr Herz "das Schwert" des Schmerzes, der Trauer, des Leids, des
Verzichtes durchbohrt. Sie haben die Einsamkeit, das Alter, das Gebrechen, die
Krankheit nicht selber gewählt. Manchmal revoltieren sie dagegen, weil sie nicht
verstehen können. Sie resignieren, weil sie keine Besserung sehen oder weil es
in ihrer Krankheit immer wieder Rückschläge gibt. Sie sind so entmutigt, dass
sie am liebsten sterben möchten: Was hat ein solches Leben noch für einen
Sinn.
Ich kann diese Reaktionen sehr gut verstehen.
Als Mensch weiss ich auch nicht, wo Sie die Kraft finden können, wie die
Muttergottes ihr Jawort zu sagen. Denn menschlich gesehen, stehen wir vor einem
grossen Geheimnis, für das uns ganz einfach oft die Worte fehlen. Können wir die
richtigen Worte in diesen Momenten des Schweigens beim Apostel Paulus
finden: "Jetzt freue ich mich in den
Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich
in meinem irdischen Leben, was an den Leiden Christi noch fehlt." (Kol 1,24)
Ich bin überzeugt, dass uns in der tiefen
Einsamkeit, in der unheilbaren Krankheit, in den Lasten des Alters oder in der
Ausweglosigkeit einer schweren Behinderung nur der Glaube an Jesus Christus
wirklich noch tragen kann. So wird, wie der Papst schreibt, "der im Glauben angenommene Schmerz zur Pforte,
um in das Geheimnis des erlösenden Leidens des Herrn einzutreten. Es ist ein
Leiden, das uns nicht mehr des inneren Friedens und des Glücks beraubt, denn es
ist erleuchtet vom Glanz der Auferstehung." (Krankentag 2004)
Sie können diesen Glauben
und dieses Vertrauen im Gebete, vorallem im Gebet des Rosenkranzes finden. Sie
können dabei die einzelnen Stationen des Lebens Jesu und Mariens betrachten. Sie
werden darin auch Stationen ihres eigenen Lebens erkennen. Sie werden spüren,
wie auch Sie selber Menschen anvertraut sind, wie Maria dem Johannes und dieser
der Muttergottes anvertraut war – und zwar durch Christus am Kreuze
selber.
Es sind jene Menschen, die Sie begleiten,
pflegen, besuchen und betreuen. Diese Menschen sind für Sie da, ihre Angehörigen
daheim, Aerzte und Krankenschwestern in den Spitälern, Pflegende in den Heimen.
Sie erfüllen eine grosse Aufgabe. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass
diese selber oft müde sind, dass auch sie selber Unterstützung
brauchen.
Zusammen mit Ihnen möchte ich mich an diesem
Tag der Kranken auch an sie wenden, um ihnen aufrichtig zu danken für ihre
Hilfen, für ihren selbstlosen Einsatz und für ihre Opferbereitschaft. Mit Ihnen,
den einsamen, armen, kranken und behinderten Mitmenschen möchte ich auch jenen
danken, welche sich bemühen, neue Wege und Mittel der Heilung, der Linderung der
Schmerzen und der guten Pflege zu erforschen. Mögen sie diese Aufgabe im Dienste
aller Kranken in der Wahrung der Würde des Menschen erfüllen.
Und Sie, liebe
alte, kranke, behinderte und einsame Brüder und Schwestern, lade ich ein, allen
Menschen in Ihrem Dienste diese Dankbarkeit auch zu zeigen: durch ein
anerkennendes Wort, durch ein Lächeln, aber auch durch Ihr Gebet für sie. Das
wird Ihnen selber und ihren Betreuern und Betreuerinnen Hoffnung, Mut, Kraft und
Zuversicht schenken.
Dazu möchte ich mit Ihnen im Geiste in das
Haus nach Ephesus wandern, wo Johannes und Maria den Wunsch Jesus am Kreuze
verwirklichen: Meine Mutter, dies ist dein Sohn. – Mein Jünger, dies ist deine
Mutter.
Sitten, am 7. März 2004
+ Norbert
Brunner
Bischof von
Sitten