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IM DIENST EINER GANZHEITLICHEN ENTWICKLUNG
Hinführung zur Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. Caritas in veritate
Bischof Kurt Koch
Präsident der Schweizer Bischofskonferenz
Dass die Wirtschaft und das Finanzverhalten weltweit in eine tiefe Krise
hinein geraten sind, ist heute bereits zu einem Gemeinplatz geworden. Die
Frage, welche Auswege aus dieser Krise gefunden werden können, muss deshalb
alle gesellschaftlichen Kräfte beschäftigen. Mit der neuen, der dritten,
Enzyklika Über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und
in der Wahrheit formuliert Papst Benedikt XVI. eine hilfreiche Antwort auf
die äusserst komplexen Probleme in der heutigen Welt. Diese erste
Sozialenzyklika von Papst Benedikt hätte bereits im Jahre 2007 zum
vierzigsten Jahrestag der Enzyklika Pauls VI. Populorum progressio
erscheinen sollen, in der zum ersten Mal die soziale Frage im Weltmasstab
behandelt und Entwicklung als der neue Name für Frieden bezeichnet worden
ist. Angesichts der krisenhaften Entwicklungen auf den internationalen
Finanzmärkten wollte aber Benedikt die Enzyklika nochmals überarbeiten, um
sie auf die Höhe der Zeit zu bringen. Mit ihr schreibt er die katholische
Soziallehre fort, die ihren verheissungsvollen Beginn mit der Enzyklika
Rerum novarum von Papst Leo IX. im Jahre 1891 genommen hat. Die
Soziallehre der Kirche will die immer wieder neu auftauchenden Probleme im
Licht des christlichen Evangeliums beleuchten und Wege zu ihrer Bewältigung
aufzeigen. Sie versteht sich als Dienst des christlichen Glaubens in der
gesellschaftlichen Öffentlichkeit an der Humanisierung des menschlichen
Lebens und Zusammenlebens und an der Entwicklung eines christlichen
Humanismus, der die Liebe belebt und sich von der Wahrheit leiten lässt
(78). Denn Liebe und Wahrheit gehören unlösbar zusammen: Ohne Orientierung
an der Wahrheit droht die Liebe in Sentimentalität abzugleiten. Und
umgekehrt wird Wahrheit nur in konkretes Handeln übersetzt, wenn sie von der
Liebe bewegt wird.
Übersicht und Inhalt
Das Leitwort der Enzyklika Caritas in veritate ist dem Brief an die
Epheser entnommen, in dem Paulus Wahrheit und Liebe miteinander verbindet,
indem er dazu ermahnt, von der Liebe geleitet sich an die Wahrheit zu halten
(4, 15). Diesen Zusammenhang entfaltet Benedikt in der Einleitung, in der er
das theologische und sozialethische Fundament der ganzen Enzyklika legt: Wie
die Wahrheit in der Ökonomie der Liebe gesucht und gefunden werden muss, so
kann die Liebe nur im Licht der Wahrheit verstanden und verwirklicht werden.
Für die ganzheitliche Entwicklung in einer Gesellschaft, die sich
unumkehrbar auf dem Weg zur Globalisierung befindet, bedeutet dieser Dienst
an der Wahrheit in der Liebe vor allem, dass sich das ethische Handeln an
der Gerechtigkeit (als dem Mindestmass der Liebe) und am Gemeinwohl
orientieren muss.
1. Wahrheit als Ganzheitlichkeit: Im ersten Kapitel greift Benedikt auf die
Enzyklika Populorum progressio zurück, die Papst Paul VI. vor über vierzig
Jahren unmittelbar nach dem Konzil und in enger Beziehung zu ihm geschrieben
hat, und er ruft die zentrale Botschaft dieser Enzyklika in Erinnerung, dass
die Kirche in die Verantwortung gerufen ist, die ganzheitliche Entwicklung
des Menschen zu fördern, und dass die Entwicklung des Menschen nur dann echt
gefördert werden kann, wenn sie die menschliche Person in allen ihren
Dimensionen betrifft. Denn die Wahrheit der Entwicklung besteht in ihrer
Ganzheit: Wenn die Entwicklung nicht den ganzen Menschen und jeden Menschen
betrifft, ist sie keine wahre Entwicklung (18). Diese christliche Berufung
zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen lässt sich aber nur in Handeln
übersetzen, wenn von der verantwortlichen Freiheit der Person und der Völker
ausgegangen wird: Keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn
sie menschliche Verantwortung beiseite lässt oder sich über sie stellt
(17). Sowohl gegenüber einer fatalistischen Einstellung, die in die
Resignation führt, als auch gegenüber messianischen Hoffnungen auf
Strukturveränderungen allein, die eine falsche Sicherheit suggerieren,
appelliert der Papst an die Verantwortung des Menschen, die seine Freiheit
zur Grundlage hat.
2. Globalisierung und Geschwisterlichkeit: Im zweiten Kapitel analysiert der
Papst die einschneidenden Veränderungen auf den ökonomischen, sozialen,
kulturellen und bioethischen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens, die seit
der Enzyklika von Paul VI. im Jahre 1967 eingetreten sind. Die alles
dominierende Neuheit erblickt er in der Explosion der weltweiten
wechselseitigen Abhängigkeit (33), die inzwischen mit dem Stichwort der
Globalisierung verhandelt wird. Dieses Phänomen wird dabei keineswegs nur
negativ gewertet, hat es doch auch ermöglicht, dass verschiedene Regionen
aus der Unterentwicklung heraustreten konnten. Wenn es aber nicht im Licht
der Liebe in der Wahrheit gesteuert wird, kann es noch weiter zu fatalen
Schäden und Spaltungen in der Menschheit führen. Schon heute ist
offensichtlich geworden, dass weltweit der Reichtum zwar zugenommen hat, die
Ungleichheiten sich aber weiterhin vergrössert haben. Ebensowenig kann
geleugnet werden, dass die Suche nach grösseren Wettbewerbsvorteilen auf dem
Weltmarkt auf Kosten der Netze der sozialen Sicherheit geht. Die schädlichen
Auswirkungen einer schlecht eingesetzten spekulativen Finanzaktivität auf
die Realwirtschaft haben es zudem an den Tag gebracht, dass die exklusive
Ausrichtung auf Gewinn die Gefahr noch verstärkt, Vermögen zu zerstören und
Armut zu produzieren. Nimmt man noch die schwindende Ehrfurcht vor dem
menschlichen Leben und die Verweigerung des Rechts auf Religionsfreiheit
hinzu, wird das Ungenügen offensichtlich, den Fortschritt allein unter
wirtschaftlichen und technologischen Gesichtspunkten zu betrachten. Es
drängt sich vielmehr eine neue humanistische Synthese auf (21), die in der
Verwirklichung einer echten Geschwisterlichkeit gesehen werden muss. Denn
die heute globalisierte Gesellschaft macht uns zwar zu Nachbarn, aber
nicht zu Geschwistern (19), wozu erst die transzendente Berufung des
Menschen durch Gott anleitet.
3. Wirtschaftliche Entwicklung und Zivilgesellschaft: Unter dieser
Leitperspektive formuliert der Papst im dritten Kapitel als Ziel aller
notwendigen Bemühungen, die Globalisierung der Menschheit im Sinne von
Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe zu leben (42). Denn die Wahrheit des
Globalisierungsprozesses und sein fundamentales ethisches Kriterium liegen
in der Einheit der Menschheitsfamilie und in ihrem Voranschreiten zum Guten.
Dazu kann aber eine rein produktivistische und utilitaristische Sicht des
menschlichen Lebens und Zusammenlebens nicht genügen. Es braucht vielmehr
die Förderung einer personalistischen, gemeinschaftlichen und für die
Transzendenz offenen kulturellen Ausrichtung des globalen
Integrationsprozesses. Dies setzt auf der einen Seite voraus, dass der
Bereich der Wirtschaft nicht als moralisch neutral und auch nicht als
unsozial eingestuft werden darf, dass der Markt vielmehr nur funktionieren
kann aufgrund von solidarischen und von gegenseitigem Vertrauen geprägten
Handlungsweisen. Auf der anderen Seite erweist sich die exklusive
Kombination zwischen Markt und Staat als Zersetzung des Gemeinschaftssinnes.
Dieser kann vielmehr nur durch vielfältige Anstrengungen in der
Zivilgesellschaft gefördert werden. Dazu braucht es eine Zivilisierung der
Wirtschaft, die im Gewinn mehr erblickt als einen Selbstzweck allein.
4. Rechte und Pflichten: Das vierte Kapitel ist dem Problem der Entwicklung
der Völker und in besonderer Weise der Umweltproblematik gewidmet.
Diesbezüglich betont der Papst, dass die menschlichen Individualrechte dann,
wenn sie aus dem Rahmen der ihnen korrespondierenden Pflichten herausgelöst
werden, verrückt werden und eine praktisch grenzenlose und alle Kriterien
entbehrende Spirale von Ansprüchen auslösen (43). Der Papst ruft deshalb
den Grundsatz in Erinnerung, dass die menschlichen Rechte ohne Pflichten zur
Willkür verkommen und dass die Verantwortung der Menschen darin besteht,
ihre Pflichten wahrzunehmen. Denn das Teilen der wechselseitigen Pflichten
mobilisiert viel stärker als die blosse Beanspruchung von Rechten (43).
Indem sich der Papst dem komplexen Problem des Bevölkerungswachstums stellt,
hebt er eine moralisch verantwortungsvolle Offenheit für das Leben als
sozialen und wirtschaftlichen Reichtum hervor. Um den Markt humanisieren zu
können, plädiert der Papst für eine Vielfalt von institutionellen Formen von
Unternehmen jenseits von gewinnorientierten und Non-Profit-Organisationen.
Schliesslich spricht er sich für eine verantwortungsvolle Steuerung über die
Natur aus, die freilich nur möglich ist auf dem Boden einer ganzheitlichen
Sicht der Natur, die den Menschen vor seiner eigenen Selbstzerstörung
schützt: Die Natur steht uns nicht als <ein Haufen zufällig verstreuter
Abfälle> (Johannes Paul II.) zur Verfügung, sondern als eine Gabe des
Schöpfers, der die ihr innewohnenden Ordnungen gezeichnet hat (48).
Umweltökologie und Humanökologie erweisen sich somit als zwei Seiten
derselben Medaille.
5. Echte politische Weltautorität: Im fünften Kapitel erörtert Benedikt XVI.
die Zusammenarbeit der Menschheitsfamilie in der Überzeugung, dass die
Entwicklung der Völker vor allem davon abhängt, dass sich diese als eine
einzige Familie betrachten und in einer echten Gemeinschaft
zusammenarbeiten. Indem der Papst die christliche Sicht des Menschen als
eines Wesens der Beziehung vertieft, zeigt er den Beitrag des christlichen
Glaubens für die Förderung der menschlichen und menschheitlichen Entwicklung
auf. Jenseits von politischem Laizismus und religiösem Fundamentalismus
plädiert er für einen fruchtbaren Dialog zwischen der Vernunft und dem
religiösen Glauben. Indem er die bereits traditionellen Kriterien der
kirchlichen Soziallehre, nämlich Solidarität und Subsidiarität, aufgreift,
setzt er sich nicht nur für die Teilnahme aller Menschen am internationalen
Wirtschaftsleben ein, sondern auch für die Intensivierung von kulturellen
Begegnungen zwischen den Menschen und den Völkern. Diese Kriterien werden
anschliessend konkretisiert bei den Problembereichen der menschlichen
Bildung, des internationalen Tourismus, des schwerwiegenden Problems der
Migrationen, des Zusammenhangs zwischen Armut und Arbeitslosigkeit, der
Gewerkschaftsorganisationen und des Finanzwesens. Um diese Probleme wirksam
angehen zu können, hält der Papst eine übergeordnete Stufe internationaler
Ordnung von subsidiärer Art für die Steuerung der Globalisierung (67) für
unabdingbar und fordert eine Reform nicht nur der internationalen
Wirtschafts- und Finanzgestaltung, sondern auch der Organisation der
Vereinten Nationen. In den Augen des Papstes braucht es eine echte
politische Weltautorität, die sich an den Prinzipien der Subsidiarität und
Solidarität orientiert, auf die Verwirklichung des Gemeinwohls hingeordnet
ist und sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit inspirieren lässt.
6. Entwicklung und Technik: Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der
Technik als dem besonders wirksamen Bereich der menschlichen Entwicklung der
Völker. Dabei unterscheidet der Papst zwischen der Technik als dem
objektiven Aspekt der menschlichen Arbeit, der positiv zu würdigen ist, und
der technizistischen Mentalität, die alles Machbare für das Wahre hält und
dazu führt, dass der Mensch sich anmasst, sein eigener und einziger
Hervorbringer zu sein (68). Die Ambivalenz der Technik wird vor allem in
den Bereichen des Friedensaufbaus und der sozialen Kommunikationsmittel
exemplifiziert. Als den wichtigsten Bereich einer notwendigen kulturellen
Auseinandersetzung zwischen dem Absolutheitsanspruch der Technik und der
ethischen Verantwortung der Menschen schätzt der Papst die Bioethik ein, wo
auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen
Entwicklung selbst auf dem Spiel steht (74). Neben der tragischen Plage
der Abtreibung zählt der Papst eine systematische eugenische
Geburtenplanung und eine stark im Aufwind begriffene Euthanasie-Mentalität
zu den besonders gefährlichen Entwicklungen, die dazu führen, dass sich die
soziale Frage immer mehr zu einer anthropologischen Frage zuspitzt.
Schliesslich wendet er sich gegen den neurologischen Reduktionismus und
betont, dass Entwicklung ausser dem materiellen immer auch das
geistig-geistliche Wachstum einschliessen und folglich auch ein darüber
hinaus sehen muss, das die Technik nicht geben kann (77).
Würdigung der Enzyklika
Die Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. ist ein schönes Beispiel für das
Zusammenspiel von Kontinuität und Erneuerung der katholischen Soziallehre
und damit für die lebendige Tradition der Kirche. Auf der einen Seite nimmt
er die Soziallehre von Papst Paul VI. auf und würdigt sie als adäquates Wort
in die damalige gesellschaftliche Situation hinein. Weil diese aber in den
vergangenen vierzig Jahren massiven Veränderungen unterworfen gewesen ist
und sich ganz neue Probleme stellen, schreibt Benedikt auf der anderen Seite
die kirchliche Soziallehre im Horizont der Globalisierung fort. Angesichts
dieses weltumspannenden Phänomens erhält das bereits von Paul VI.
vorgetragene Postulat einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen und der
Völker eine zusätzliche Vordringlichkeit. Die neue Enzyklika ist insofern
ein Anschauungsbeispiel dafür, dass Benedikt eine Hermeneutik des Bruches
in der Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnt und eine
Hermeneutik der Erneuerung fordert und praktiziert. Die Enzyklika trägt
dabei weitgehend die Papst Benedikt eigene Handschrift, die ich vor allem in
den folgenden Charakteristika wahrnehme:
1. Wahrheit und Liebe: Die für das theologische Denken des Papstes
charakteristische Zentralität der beiden Begriffe Wahrheit und Liebe, und
zwar in ihrer unlösbaren Zusammengehörigkeit, die bereits die beiden
Leitwörter seiner im Jahre 1968 erschienenen Einführung in das Christentum
gewesen sind und die auch die beiden bisherigen Enzykliken über die Liebe
(Deus caritas est) und über die Hoffnung (Spe salvi) prägen, wird nun
auch für die Fortschreibung der kirchlichen Soziallehre fruchtbar gemacht.
Während die Wahrheit in der ganzheitlichen Entwicklung des ganzen Menschen
und aller Menschen gesehen wird, hebt die Liebe auf den Geschenkcharakter
und die Unentgeltlichkeit des menschlichen Lebens und der ganzen Schöpfung
ab, die als Ausdruck der weltweiten Geschwisterlichkeit auch als Regulativ
bei der Bewältigung der grossen gesellschaftlichen Probleme gesehen wird.
2. Freiheit und Glaube: Wie Wahrheit und Liebe nicht voneinander getrennt
werden können, so gehören auch Freiheit und Glaube unlösbar zusammen. Auch
dieses Binom ist charakteristisch für das theologische Denken von Papst
Benedikt. Gegenüber einer einseitigen Hoffnung auf die
Veränderungspotentiale von strukturellen Reformen betont er in emphatischer
Weise die Verantwortung aller Menschen für die Geschicke der Welt und
appelliert an die Freiheit des Menschen, ohne die es keine Verantwortung
geben kann. Gegenüber einer individualistischen Verkürzung der Freiheit
macht sich in seiner Sicht der christliche Glaube aber stark für eine
gemeinsame und solidarische Freiheit, weil es Freiheit nur im Konzert der
Freiheiten geben kann und weil Freiheit sich immer an der Gerechtigkeit und
am Gemeinwohl orientieren muss.
3. Sozialethik und Ethik des Lebens: In Benedikts Weiterschreibung der
kirchlichen Soziallehre sticht besonders seine Insistenz auf der
Umweltproblematik und seine Betonung des unlösbaren Zusammenhangs zwischen
der Sozialethik und der Ethik des menschlichen Lebens hervor, der sich wie
ein roter Faden durch alle Kapitel hindurch zieht. Dahinter steht nicht nur
die Überzeugung Benedikts, dass die soziale Frage immer mehr zur
anthropologischen Frage selbst geworden ist, sondern auch die Feststellung,
dass im Bild vom Menschen und der Schöpfung wichtige Vorentscheidungen
hinsichtlich des ethischen Urteils und des praktischen Handelns fallen:
Wenn die Natur und allen voran der Mensch als Frucht des Zufalls oder des
Evolutionsdeterminismus angesehen werden, wird das Verantwortungsbewusstsein
in den Gewissen schwächer. Der Gläubige erkennt hingegen in der Natur das
wunderbare Werk des schöpferischen Eingreifens Gottes, das der Mensch
verantwortlich gebrauchen darf (48).
4. Logos und Dia-Logos: Auch diese Sozialenzyklika ist geprägt von der
Überzeugung der gegenseitigen Verwiesenheit von Vernunft und Glaube: Auf der
einen Seite braucht die Vernunft den Glauben, um die notwendigen weiteren
Horizonte zu gewinnen und sich von ihren Vereinseitigungen reinigen zu
lassen. Auf der anderen Seite aber muss der Glaube vor der Vernunft
standhalten, wenn er sich selbst recht versteht und wenn er in der heutigen
Gesellschaft ernst genommen werden will. Dies aber ist notwendig, damit die
Kirche ihre Sendung wahrnehmen kann, die Wahrheit in Liebe für eine
Gesellschaft zu verkünden, die dem Menschen und seiner Würde und Berufung
gerecht werden will. Da die Wahrheit des christlichen Glaubens, sein
logos, im Kern dia-logos ist und sich darin bewähren will, sucht er das
Gespräch und den Dialog mit den Menschen und besonders mit den
Verantwortlichen in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Staat, und zwar in
der Überzeugung, dass die Zustimmung zu den vom christlichen Glauben
vertretenen Werten für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen und der
Völker förderlich ist. Da sich die Enzyklika als Einladung zum Dialog über
die heutigen drängenden Fragen der Menschheit und ihrer Entwicklung
versteht, darf man auf die Aufnahme dieser Einladung in der
gesellschaftlichen Öffentlichkeit gespannt sein.
Im Namen der Schweizer Bischöfe begrüsse ich die erste Sozialenzyklika von
Papst Benedikt XVI. dankbar. Sie analysiert in einer sehr differenzierten
Weise die Zeichen der Zeit, sie bezeichnet die für das ethische Urteil
unerlässlichen und aus der christlichen Tradition gewonnenen Kriterien und
zeigt Wege aus der tiefen Krise von heute auf in eine Zukunft der
Menschheit, die von Gerechtigkeit und Gemeinwohl geprägt sind. Wir Schweizer
Bischöfe dürfen in dieser Enzyklika auch eine Bestätigung unserer
sozialethischen Verantwortung in der schweizerischen Öffentlichkeit sehen
und zugleich eine Ermutigung, auf diesem Weg weiterzugehen und die
christlichen Grundüberzeugungen von der ganzheitlichen Entwicklung und von
der Würde des Menschen von seinem Beginn bis zu seinem natürlichen Tod
weiterhin ins öffentliche Gespräch einzubringen. Wir hoffen, dass die
Reflexionen und ethischen Wegweisungen Benedikts auch in der schweizerischen
Gesellschaft aufgenommen und intensiv diskutiert werden im Blick auf eine
gute Zukunft der Menschen und der ganzen Schöpfung.
Freiburg i. Ü., 7. Juli 2009
Pressecommuniqué
Nein-Komitee zur IV-Zusatzfinanzierung operiert mit Halbwahrheiten und
irreführenden Informationen
J+P Aktuell sind in vielen Schweizer Zeitungen in grossen Werbeblöcken die
Argumente des Nein-Komitees zur Abstimmung über die IV-Zusatzfinanzierung am
27. September 2009 platziert. Die Schweizerische Nationalkommission Justitia
et Pax, die sich für ein Ja bei dieser Abstimmung ausspricht, kritisiert die
Art und Weise der Argumentation.
So wird beispielsweise nicht gesagt, dass es sich ausschliesslich um eine
befristete und geringfügige Erhöhung der MwSt handelt, vielmehr wird der
Eindruck erweckt, die MwSt würde um 8% erhöht. Tatsächlich will der
Vorschlag, über den abgestimmt wird, nur eine Erhöhung um 0,4%, also von
heute 7,6% auf 8%. Ausserdem wird unterstellt, dass die finanzielle
Schieflage der IV allein durch eine konsequentere Missbrauchskontrolle
beseitigt werden könnte. Um aber Einsparungen in Milliardenhöhe zu erzielen,
müssten ganze Gruppen von LeistungsempfängerInnen aus der IV entlassen
werden. So zu argumentieren ist unredlich, weil alle Verantwortlichen
wissen, dass das Problem viel grundlegender ist.
Eine solche Art der Informationspolitik und des Abstimmungskampfes
untergräbt die demokratische Meinungsbildung. Ohnehin Benachteiligte werden
dadurch einem generellen Missbrauchsverdacht (Scheininvalide) ausgesetzt.
Hier wird einer gesellschaftlichen Entsolidarisierung das Wort geredet, die
keine konstruktive Lösung anbietet. Eine solche Entwicklung betrachten wir
mit grosser Sorge. Aus ethischer Sicht sind Lösungen auf Kosten von anderen
klar abzulehnen.
Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax empfiehlt deshalb ein
klares Ja zugunsten eines Sanierungsbeitrags zu den IV-Finanzen, der
gleichzeitig auch einen unverzichtbaren Beitrag zur längerfristigen
Sicherung der AHV leistet und eben nicht deren Plünderung bedeutet.
Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax ist eine
Stabskommission der Schweizer Bischofskonferenz. Sie befasst sich
schwerpunktmässig mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen.
Bern, den 01. Juli 2009
Kontakt:
Wolfgang Bürgstein, Tel 031 381 59 55